Matt Mullican
Opening: 7. November 2025, 6:30pm
November 2025 - January 2026
Text zur Ausstellung
Three Thinking Lines
Matt Mullicans Kosmologie – Eine künstlerische Vermessung der Welt
Bei Matt Mullican geht es um existenzielle Fragestellungen und die Positionierung des Menschen inmitten einer ihn umgebenden Kosmologie. Es geht bei ihm um Fragen nach Gesetzmäßigkeiten, Strukturen, Ordnungen und das Mysterium dessen, was uns umgibt und das wir Welt nennen. Jedoch ist dies bei ihm nicht nur der Kosmos, die Welt, in der wir leben und die aus uns bekannten Verknüpfungen und konkreten Gegebenheiten, wie etwa den physisch wahrnehmbaren Objekten einerseits und dem Vorgestellten anderseits besteht. Der Künstler greift in seinem Konzept nach einer eigenen Ordnung der Dinge der Welt, wobei er gewohnte Kategorisierungen hinterfragt. Er sagt dazu: „Das Leben existiert in unserer subjektiven Erfahrung, in den Sinnen. Deshalb ist die abgebildete Realität dasselbe wie die [eigentliche] Realität. Das Erdachte entspricht dem Realen. Das war zumindest meine Prämisse.“ (Matt Mullican)
In der aktuellen Ausstellung in der Galerie Widauer konstituiert Mullican eine Kosmologie, die auf der Relativität und Relevanz des Gedachten beruht. Als visuelles Zeichen von Strecke, Horizont, Teilung und Trennung setzt er eine durchgängige horizontale Linie, die sich einerseits als räumliches Element von Zeit und Geschichte lesen lässt, die aber auch kosmologisches Zeichen eines Oben und Unten ist. Wie man an der Setzung im großen Raum und dem Kabinett sieht, ist sie Teil der Konzeption von Raum. Auf subtile Weise setzt der Künstler die lineare Betrachtungsweise von Bildern außer Kraft. Wir sehen die Welt als komplexes, universelles Geflecht, das aus Vernetzungen, Referenzen und Durchdringungen besteht. Die Linie erscheint als Leitfaden, ein geometrischer Ruhepunkt inmitten des komplexen Kosmos an Bedeutungs- und Erlebniswelten.
Mullican postuliert Gesetzmäßigkeiten, die auf einfachen Bedingungen eines Zusammenspiels von Farbe und Form beruhen. ROT (subject): Subjekt meint hier zum einen dem einzelnen Subjekt zugeordnet, zugleich jedoch ist diese Bedeutungsebene individuell, subjektiv, nicht allgemeingültig. Es ist eine rein geistige Weltebene, bei der die Bedeutung im Mittelpunkt steht, ohne eine spezifisch zugeordnete Form. Bedeutung entsteht hier also jenseits konkreter Formfindung. In der Ausstellung begegnen wir dem Subjekt in Form einer komprimierten Darstellung als Cosmology Chart im Zusammenspiel mit allen anderen Referenzebenen. GELB (world framed) wird einer Welt der Formgebung zugeordnet. Die Farbe verkörpert alles, was innerhalb dieser Welt konkrete Gestalt annimmt. BLAU (world unframed) spiegelt die Form all dessen, was in der Welt ist, wider, es ist gleichzusetzen mit der realen, physischen Welt. Schwarz (sign) als Nicht-Farbe umfasst die Welt der Kommunikation – die Sprache als etwas Zeichenhaftes, in jeder Hinsicht, sowohl in Form von Schrift als auch im Sinne von Zeichen als Kommunikation. Das Schwarz ist Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Welten und repräsentiert doch eine eigene Welt.
Beim Betreten der Galerie taucht der Besucher ein in Mullicans Welt der Zeichen, Symbole und Referenzen. Im großen Raum trifft man auf eine Serie von sechs Darstellungen unterschiedlicher Figuren. Der Titel Who feels the most pain (2025) verweist auf den existenziellen Charakter des Figurativen. Darunter befindet sich auch ein sehr seltenes Selbstportrait des Künstlers. Auch er selbst ist intrinsischer Teil dieses Kosmos. Die Serie von acht kleinformatigen Bildtafeln Eight paintings of men (2025) ist ein Echo der großen Bilder, eine ikonografische Essenz des Menschen in einer universellen Typologie, von einer Konstruktion im Raum zur Zeichnung, zu konnotierten Kontexten wie Comic, Strichmännchen, Icons oder geometrischen Formen hin zu situativen Momentaufnahmen: Hanging Body, Cartoon knock-out oder Demon. Es ist unter anderem auch eine Welt der Antonyme wie Himmel (in Gestalt der Engel) – Hölle (der Dämon), der Sinne (wie bei Mullicans Fotografien einer im wörtlichen Sinne Verkörperung der Sinne) und der komplexen Vernetzungen wie in der vielfältigen Darstellung der Elemente als vier Kreisformen.
Bei Mullican gibt es keine Hierarchien, sondern Setzungen. Seine Welten sind Postulate in einer scheinbar unveränderlichen Welt, wie wir sie kennen. Und somit erweckt der Künstler in uns die Sehnsucht einer Utopie, indem er an Bedingungen des Realen anknüpft, aber eben jenen Begriff des Realen überhöht in einer Weltenfindung, bei der es um kategoriale Bestimmungen wie frame, subject, element oder sign geht.
In einem schönen Ensemble aus vier Glaskugeln thematisiert er die Universalität seines Kosmos, die Vielschichtigkeit seiner am Sein orientierten Weltordnung und durch die Verwendung des transparenten Glases zugleich auch ihre Fragilität.
Ein weiteres charakteristische Element in der Kunst Mullicans ist das Prozessuale. Dies wird zum einen an den unterschiedlichen Techniken, den Materialien und ihrer Bedeutung sichtbar (Zeichnung, Graphit, Gouache, Fotografie, Stahl, Glas, Print) sowie auch an seinen Formfindungen. Die auf einem Tisch angeordneten Kreiselemente können die Besucher als Stempelabbild mitnehmen. Ein Memento homo gewissermaßen, das den Menschen an seine Teilhabe an kosmologischen Prozessen erinnert. Die Kreisform entspricht als Referenz an das Planetarische den Elementen, dem Weltall, dem Ewigen, dem Kreislauf oder der Transformation des sich Veränderns. Matt Mullican führt uns auf eine existenzielle Reise in ein Gitterwerk unterschiedlicher Weltebenen, klar, präzise und konzis im Aufbau, jedoch das Geheimnis einer Weltordnung bewahrend, welche scheinbar disparate Elemente wie physisch Erfassbares und imaginierte, virtuelle Welten vereinbart.
Gaby Gappmayr 2025