Matt Mullican
Opening: 6. November 2020, 4pm
November 2020 - January 2021
Text zur Ausstellung
Die Welt der Zeichen und Referenzen – Matt Mullicans Vision einer Kosmologie
Matt Mullican beschäftigt sich schon seit den 1970er Jahren mit elementaren, existenziellen Fragen nach Gesetzmäßigkeiten, Strukturen, Zusammenhängen und dem Mysterium dessen, was uns umgibt, das wir Welt nennen. Bei ihm ist dies nicht einfach ein Kosmos, eine Welt, in der wir leben und die aus uns bekannten Verknüpfungen und konkreten Gegebenheiten, wie etwa den physisch wahrnehmbaren Objekten einerseits und dem Vorgestellten anderseits besteht.
Der Künstler greift in seinem Konzept nach einer eigenen Ordnung der Dinge der Welt, wobei er gewohnte Kategorisierungen hinterfragt. Er sagt dazu: „Das Leben existiert in unserer subjektiven Erfahrung, in den Sinnen. Deshalb ist die abgebildete Realität dasselbe wie die [eigentliche] Realität. Das Erdachte entspricht dem Realen. Das war zumindest meine Prämisse.“ (Matt Mullican)
Das Gedachte ist real. Daher konstituiert er eine Kosmologie, basierend auf der Einfachheit und Prägnanz von Farben und Formen. GRÜN (elements) entspricht der rohen Form, eine Stofflichkeit also jenseits konkret ablesbarer Formen. Wohl auch deshalb wählt er dafür die Komplementärfarbe aus Blau und Gelb. Es ist die Farbe der reinen Materialität, eine Art präformale Struktur, die aber die Basis jeder zukünftigen Formgebung ist. BLAU (world) spiegelt die Form all dessen, was in der Welt ist, wider, und GELB (world frame) ist die Welt der Formgebung, all dies, das innerhalb dieser Welt konkrete Gestalt annimmt. ROT (subject) ist das Vorgestellte, eine rein geistige Weltebene, bei der die Bedeutung im Mittelpunkt steht, ohne eine ihr zugeordnete Form. Bedeutung entsteht jenseits konkreter Formfindung.- Subjekt meint hier einerseits dem einzelnen Subjekt zugeordnet und zugleich ist jene Welt der Vorstellung individuell, subjektiv, nicht allgemeingültig.
Schwarz (sign) als Nicht-Farbe umfasst die Welt der Kommunikation – Sprache als etwas zeichenhaftes, in jeder Hinsicht, sowohl in Form von Schrift als auch im Sinne von Zeichen als Kommunikation. Das Schwarz ist wie ein Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Welten und steht doch für sich.
Die Werke, die bei Johann Widauer zu sehen sind, sind für die Ausstellung realisiert worden. Sie zeigen die konsequente Umsetzung der Mullicanschen Weltordnung in neuen kategorialen Bezügen.
Sind die Werke des Künstlers sehr oft als vertikale Schichtungen präsent, so steht bei den ausgestellten Werken die Idee einer konzentrischen Bewegung von Innen nach Außen und umgekehrt im Mittelpunkt. Dies gilt für die große Arbeit Center Chart Framed, bei der in einer neutralen weißen Kreisform der rote Kreis als Zentrum des Geistigen erscheint ebenso wie für die gegenüberliegende Frottage Things change in Heaven, bei der in 16 innerhalb eines Quadrats angeordneten roten Kreisformen zeichenhafte Elemente das Transformatorische der Form suggerieren. Wie in einem Brennglas ist die rote Fläche links ein symbolhaft vernetztes Zeichensystem, ein universeller Mikrokosmos als Welt des Mysteriums zwischen den Polen der Hölle und des Himmels.
Das Prozessuale im Werk von Mullican ist exemplarisch an den geometrischen Konstellationen aus Glas und Blei zu sehen, bei denen es um Translozierungen und Transformationen jener einzelnen Welten geht, die unabhängig voneinander zu existieren scheinen und sich doch gegenseitig bedingen.
Die große Installation vor der Galerie lässt uns jene Schichtungen, Überschreitungen und Überlagerungen von Welten physisch erfassen, wir durchschreiten den Raum und durchmessen somit die verschiedenen Welten, die elementare, jene vor jeder menschlichen Intervention, die Welt dessen was ist, eine ontologische Referenz, die Welt der Formen und die Welt, die dies transzendiert (das Vorgestellte, rein Geistige) und die Welt des Zeichenhaften, die Sprache. Bei Mullican gibt es keine Hierarchien, sondern Setzungen. Seine Welten sind Postulate in einer scheinbar unveränderlichen Welt, wie wir sie kennen. Und somit erweckt der Künstler in uns die Sehnsucht einer Utopie, indem er an Bedingungen des Realen anknüpft, aber eben jenen Begriff des Realen überhöht in einer Weltenfindung, bei der es um kategoriale Bestimmungen wie frame, subject, element oder sign geht. Exemplarisch wird dies in der Skuptur Steel Database vereint, ein Datensatz, ein Gebilde, bei dem der Künstler in elementaren Farbtönen ein Gitterwerk der unterschiedlichen Welten schafft, klar und konzise im Aufbau, aber das Geheimnis einer Weltenordnung bewahrend, die scheinbar disparate Elemente, das physisch Erfassbare wie die reine Imagination, in einer Konstruktionen vereint: Formen des Seins und Möglichkeiten kosmologischer Zusammenhänge.
Gaby Gappmayr, 2020