Nikolaus Schletterer
auf hell zu dunkel
Opening: 14. June 2024, 7 pm
June - August 2024
Text zur Ausstellung
Nikolaus Schletterer – Die Sprache der Fotographie
In der aktuellen Ausstellung der Galerie Widauer zeigt Nikolaus Schletterer Fotografien der letzten fünf Jahre. Zu sehen sind unterschiedliche Themen, denen gemeinsam ist, dass die digitale Fotografie, also die Umwandlung von Lichtwellen in digitale Signale, Ausgangspunkt seines künstlerischen Konzepts ist. Schletterer geht jedoch immer noch von der Fotografie als Momentaufnahme eines bestimmten Bildmotivs aus. Jedoch transformiert er diesen Prozess bereits unmittelbar nach dem Akt des Fotografierens. Denn nicht eine Aufnahme ist es, die er digital speichert und als Digitalprint präsentiert, sondern viele Aufnahmen desselben Objekts werden der Größe des Bildes entsprechend in Pixel umgewandelt und in einem additiven Verfahren aneinandergereiht.
Was wir also sehen, ist nicht einfach eine Aufnahme einer Landschaft, einer Straße oder einer Autobahn. Das Foto selbst ist bereits eine Transformation der Wirklichkeit. Jedoch ist es im eigentlichen Sinne keine Bearbeitung der Wirklichkeit, sondern gewissermaßen eine Verdichtung. Die Aufnahmen im großen Raum scheinen Landschaftsfotografien. Wir erahnen einen Strand, den Himmel, den Horizont. Durch die angewandte Technik entsteht ein zarter Sfumato-Ton, der malerische Leichtigkeit erzeugt. Die Bilder entziehen sich dem unmittelbar Objekthaften, Gegenständlichen. Dazu kommt eine wunderbar schwebende Farbigkeit, die mit jenem Oszillieren zwischen einer Abbildung der Wirklichkeit einerseits und einer reinen Farbflächenmalerei andererseits korrespondiert.
Die Frage nach der Wirklichkeit der Dinge stellt sich auch im zweiten Thema der Ausstellung. Im kabinettartigen kleinen Raum präsentiert Schletterer in doppelter Reihung als Thema und Variation unterschiedliche Aufnahmen von Autobahnen. Denken wir normalerweise bei Autobahnen an Verkehr, Reise, Bewegung von Ort A nach B, Stau oder an architektonische Eingriffe in die Landschaft, so fällt bei Schletterers Visualierung zunächst die Leere auf. Auf den Fotografien sind keine Menschen oder Autos zu sehen. Die Fahrbahnen werden zu Metaphern von Strecken im Raum. Manche verlaufen gerade, es gibt aber auch sanfte Links- oder Rechtskurven. Gemeinsam ist ihnen die Raumkonstruktion des Künstlers. Denn bestimmende Bildelemente sind der Horizont und der Streckenverlauf in Richtung des Fluchtpunkts. Perspektivische Ansichten von Linien im Raum.
Wie bei der musikalischen Form von Thema und Variation unterscheiden sich die Fotografien durch die Jahreszeiten, die Wolkenformationen, die Tageszeit und die Natur, welche die Fahrbahnen einsäumt. Schletterer spricht in diesem Zusammenhang von Tonalität – d.h. jede einzelne Fotografie besitzt eine ihr eigene Sprache. Als Einzelbild ist der Fokus auf der Komposition des Bildes mit Vordergrund, Horizontlinie und Fluchtpunkt. In der Reihung tritt besonders der Wechsel der Intensitäten hervor. Wie in der Musik nehmen wir eine Veränderung des Lichts, des Verlaufs der Linien und der Gesamtatmosphäre wahr. Der Künstler konstituiert hier mit Hilfe eines Mediums, das eine Abbildung der Wirklichkeit suggeriert, eine eigene Sprache der Gegenständlichkeit, welche von Elementen wie einem geometrisch präzisen Bildaufbau, einer subtilen kühlen Farbwelt und einer intensiven Sprache der Stille bestimmt wird.
Noch mehr entzieht sich die Reihe dunkler Fotografien im oberen Stock der Gegenstandswelt. Die fast schwarze Bildfläche wird von unterschiedlichen Lichtstrahlen unterbrochen, die Dynamik erzeugen. Die geschwungenen hellen Linien erzeugen durch ihre leichte Unschärfe Bewegung. Unser Auge folgt dem horizontalen Gestus auf der dunklen Gesamtfläche.
Nikolaus Schletterer vermittelt uns mit seinem künstlerischen Konzept auf eindringliche Weise die Möglichkeiten der Transformation eines Mediums, dessen Ursprung die Darstellung und Konservierung von Wirklichkeit war. Eine Fotografie ist eben nicht nur das Dargestellte. Vielmehr werden in den Aufnahmen und Konstruktionen Schletterers die Bedingungen und Eigenschaften des Mediums selbst sichtbar. Um dies glaubhaft umsetzen zu können, erscheint es umso schöner, dass das einzelne Werk nicht Ergebnis artifizieller Prozesse etwa durch die KI ist. Ausgangspunkt jener Neuschöpfung einer Bildwirklichkeit ist vielmehr die Fotografie, die einzelne Aufnahme, selbst.
Gaby Gappmayr, 2024