Sunah Choi
Opening: 16. October 2015, 7pm
October 2015 - January 2016
Text zur Ausstellung
Gesetzt den Fall
Sunah Chois künstlerische Praxis scheint geprägt von Eindrücken und Abrücken eines Umherschweifens im urbanen Raum. Manch einer ihrer schwarz- weißen Photo-Kontaktabzugsbögen älterer Datierung zeigte Draufsichten auf Gitter, Deckel oder Rillen im Boden, die in ihrer Grammatik aktuell betrachtet richtungsweisend auf die skulpturalen Folgeerscheinungen wirken.
Einen ähnlichen Preview-Charakter haben auch die Frottagen von städtischem Mobiliar und dessen Zierzeilen. Situationen, die Sunah Choi augenscheinlich gut findet oder vielleicht auch als ungut empfindet werden so bildlich zu Ideenstiftern. Manches wird als Vertreter zitiert oder, gleich einer Trophäe, als Fundstück montiert. Straßen und deren Szenarien sind somit nicht nur Materiallager sondern geraten zum exakten Vorbild für interpretative Abbilder.
Wir Betrachter kennen solche urban-geschickten Konstellationen aus unbewusster Wahrnehmung. Wir sind vielleicht schon einmal in ärgerlicher Weise darüber gestolpert oder haben gar geglaubt unbeschreibliche Schönheit in ihrer aufdringlichen Unaufdringlichkeit erkannt zu haben. Ein wenig Déjà vu also, aber hier fehlt ja auch noch der Fokus auf das wesentliche Unwesentliche: Der Sand im Getriebe, der Stein im Spalt, der Zigarettenstummel im Schlitz. Quasi ein Beitrag des Störfaktors Mensch im vierdimensionalen Modell der Gesellschaft. Überall und allerwelts sammelt sich darin also auch der Dreck, ungeachtet nun ob visuell schön oder unschön, in jedem Fall aber ganz ähnlich an. Eine genauere Betrachtung dieser Oberflächen gebiert wahrscheinliche Unwahrscheinlichkeit und mögliche Unmöglichkeit. Skulptural veredelt, um die Ecke gedacht, in die Ebene gekippt oder an die Wand gehängt finden sich diese in Sunah Chois Werken. Eingangs kurz erwähnt und nun rasch nachgegoogelt wird mir „Praxis“ zum Suchbegriff und plus ein wenig Karl Marx, als subjektive, materielle Umgestaltung der objektiven Realität angeboten. Das gefällt mir nicht nur im Sinne von „copy & paste“, sondern eben inklusiver kleiner Missverständlichkeiten und Übersetzungsfehler. So lässt sich jegliche sinnliche oder gegenständliche Interpretation sowohl in Sunah Chois Kunst als auch hier im Text lesen. Etwa als Visionen mit kleineren Irrtümern. Derart ins Werk abgelegte Fetische oder vielleicht auch nur Beiprodukte eines Müßigganges finden sich mitunter eingekastelt in Gitterboxen und werden hier dann ganz einfach »Automat« genannt. So eine Maschine ist dann auch ein Sinnbild einer Wirklichkeit, unter eingeschränkter Wahlmöglichkeit. Bezeichnender Weise spendete übrigens der erste geschichtlich erwähnte Selbtbedienungsautomat im ersten Jahrhundert bei Münzeinwurf Weihwasser. Geht man solche Deals also ein, erhält man seit jeher Produkte plus ein Versprechen etwa nach Entspannung, Energie oder gar Erleuchtung. Der Konsument muss sich dafür aber wohl immer auch ein wenig an sich selbst bedienen und innere Vorgänge aktivieren, um aus Steinen Glauben und Wirkung zu destillieren. Hier geht es also zwischen Produzenten- und Konsumentenseite nicht nur darum sich fremdes Gut zu Eigen zu machen, sondern solches produktiv in sich aufzunehmen, um es dort dann zu Eigensinnigem weiterzuverarbeiten. Ein anderes bekanntes Dilemma – gleichzeitig Möglichkeit und Einschränkung zu sein – beschreibt in der Ausstellung ein Regal. Wie in jedem anderen Billy lassen sich dort Sachen sichtbar und sortiert unterbringen. Dinge bleiben darin omnipräsent und schnell ablegbar, fordern aber im Verband ständig gebraucht zu werden. Jedes Ding erzählt also immer noch und trotz feststehenden Begriffs und Ort jedem Gegenüber eine andere Geschichte.
Sunah Choi stellt in ihr ausgestelltes Regal etwas rein, zudem wohl jeder sein ganz individuelles Verhältnis hat: »Geld« – Konkret – Kleingeld in Stapeln. Viele haben nicht so viel übrig für die kleinen Euro-Cent-Münzen, bücken sich noch nicht einmal wenn diese zu Boden fallen, nennen sie Schotter und sammeln diese in Gurkengläsern, vielleicht zum Spenden für den guten Zweck oder für die eigene Not. Die per se fast wertlosen Münzen stammen alle aus der Alpenrepublik und zeigen Berg-Blumen umringt von den Sternen der Europäischen Staatengemeinschaft. Schön wären diese durch ein Fenster anzuschauen in Blüte und in Natura. In hässliche und EU-konforme Gestalt zur gängigen haptischen Währung geprägt, finden sich die Enziane, Edelweiße und Primeln bei Sunah Choi in architektonisch auffällig gestapelten Türmchen wieder. 1:1 sind sie aber weder Phallus noch Wolkenkratzer sondern einfach nur das was sie eben sind: Eine bildhauerische Entscheidung mit abstraktem Wechselkurs. Ich setzte mich jetzt in Gedanken genauso anwesend-abwesend wie der Reger in Thomas Bernhards Alte Meister, auf die hier nicht einmal als solche angebotene Sitzmöglichkeit. Ich betrachte von da aus die Bilder dieser Ausstellung und denke ganz im Geiste des angesprochenen Autors, doch mögliche Ursachen und Nebenwirkungen besser in sich selbst zu suchen. Dafür braucht es dann aber auch attraktive Steine des Anstoßes. Bohnen und andere Findlinge sind hier nicht nur in Bahnen, oder von magnetischer Zauberhand Gefangene in Bild oder Skulptur. Sie agieren vielmehr wie Noten einer Partitur und sind Trigger für das nicht Festschreibbare. Trotz ihrer mannigfaltigen Spielweise und Leseart sind diese Versatzstücke in ihrer Selbstverständlichkeit immer auch immanente Ermöglicher und Punktum ihres eigenen Bild- oder Skulpturen-Daseins. Das, was sie geworden sind bleiben sie dann auch für die Ewigkeit. Apropos Zeit: Ausgestellt und eingefangen im Rahmen findet sich auch die vierte Dimension als farblose verknitterte Luxus-Männer-Phantasie fürs Handgelenk. In der Ausstellung hängt auch ein augenscheinlich nicht sehr optimistischer Blick nach oben. Hinter bewährtem Stahlgitterrahmen findet sich das plakative Motiv eines heiter bewölkten, blauen Himmels. Aber, aber! Die Gedanken sind trotz Bändern und Gittern immer noch frei, und wenn auch viel Information durch Vergrößerung verloren gegangen ist, strahlt die Idee dieser Faltung doch mindestens so etwas wie Zuversicht aus.
Jakob Neulinger