John Miller
Verisimilitude
Opening: 6. December 2024, 6pm
December 2024 - February 2025
John Miller Verisimilitude
Die Wahrheitsähnlichkeit des Realen
In der aktuellen Ausstellung in der Galerie Widauer präsentiert John Miller neue Werke, die charakteristisch für sein künstlerisches Konzept sind. Schon beim Betreten des Galerieraums tauchen wir in seinen Kosmos ein. Der rote Boden verändert unsere Wahrnehmung. John Miller geht es um grundsätzliches Hinterfragen von Wahrnehmungsgewohnheiten. Er setzt neue Kontexte und Bezüge zwischen den einzelnen Werken. Auf der sternförmig angeordneten Figurengruppe, überzogen von starkem, schlammhaften Impasto und metallisch schimmernder Farbe, erscheinen disparate, dreidimensionale Tierfigurinen. Der Titel Figure-Ground ist eine Anspielung auf die sogenannte Figur-Grund Wahrnehmung, bei der das menschliche Gehirn durch eine Überflutung an Sinneseindrücken bestimmte Formen gleichsam herausfiltert, um so eine Unterscheidung zwischen Figur und Grund zu provozieren, was aber nicht immer möglich ist. John Miller spielt hier mit der Variabilität des Proportionalen, des fließenden Übergangs zwischen liegenden menschlichen Formen, den winzigen aber räumlich präsenten Tierfiguren und dem Boden.
Auf unserer Wanderung durch fast reale Welten begegnen wir im großen Raum einem neuen Werk, A Counterfeit Illusion (2024), bei dem unser Blick immer wieder in die Irre geführt wird. Es scheint eine Aufnahme eines Strandes zu sein. Sind die Fenster real? Ist das Gitter gemalt? Dazu überlagern in John Millers typischem Rostbraun zwei vertikale und zwei horizontale Rechtecke das Bild. Es entsteht eine Bildleere, welche der Komposition etwas Magisches verleiht. Es mag wohl eine Referenz an Magrittes Trahison des images (1929) sein, allerdings ist es bei John Miller kein Sprachbild, sondern seine Schichtungen sind rein piktoral.
Es sind städtische Szenen, die wir sehen. Es sind jedoch Konstruktionen einer Wirklichkeit, bei denen es dem Künstler um die Beziehung zwischen den Betrachtenden und der Frage nach der Relevanz von Wahrnehmung geht. Als unauffälliges objet trouvé entdecken wir eine Kartoffel, die inmitten des roten Teppichs liegt. Auch hier stellt sich wieder die Frage nach Bedeutung, Proportion und Wert. Hinter der Kartoffel sehen wir ein Bild, in welchem der Künstler in einem subtilen Geflecht aus Perspektive, Örtlichkeit und Bedeutung eine vermeintliche Wirklichkeit konstituiert, A Seamless Mimetic Faithfulness (2024), ein Paradoxon, irritiert John Miller doch unseren Blick mit unterschiedlichen Blickwinkeln (Spiegel, Tiefenraum) und disparaten Objekten (schwere Kette, Hochhaus, eine Grünanlage mit parkenden Autos).
Diese Transformation des Realen wird besonders auch im Video sichtbar, denn bewegte Bilder suggerieren eine Faktizität des Realen, was der Künstler aber mit seinen rostbraunen „black-outs“ konterkariert.
Die Titel seiner Werke sind sehr oft erkenntnistheoretische Postulate einer vom Künstler inszenierten Wirklichkeit: Truth and Fiction, The Sense of Emptiness, The Futility of Pleasure. Die Titel sind nicht Kommentare dessen, was wir wahrnehmen, sondern transformieren die Abbildung der Wirklichkeit in eine künstliche Form des Realen, die uns als künstlerische Position jedoch unmittelbar einnimmt. Als Beispiel sei hier das Werk Vanitas (2023) genannt, bei dem collagenhaft als gleichwertige Bildelemente neben dem Berliner Fernsehturm auch Tartestücke, Graffitis, Schaufensterelemente sowie wiederum geometrische, fäkalfarbene Formen dargestellt sind. Der Titel verleiht dem Werk den Charakter eines großstädtischen Stilllebens. Das Vergängliche konstituiert sich in der Komposition aus architektonischen, merkantilen, kreativ protesthaften und Resten von Nahrung.
Die Qualität der Werke von John Miller spiegelt sich in der scheinbaren Ungefiltertheit des Dargestellten. Der Künstler zieht uns in ein Geflecht aus Assoziationen, Schichtungen und Sinneseindrücken, die uns erkennen lassen, wie vielschichtig die Wahrnehmung von Wirklichkeit ist. Die Aufhebung von Bedeutungsebenen, die Flächigkeit divergierender Bildelemente und die Verschmelzung räumlicher Setzungen sind Voraussetzung einer kritischen künstlerischen Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen von Wahrnehmung, wie es John Miller mit seinem an den Kritischen Rationalismus von Karl Popper angelehnten Ausstellungstitel Verisimilitude intendiert.
Die Wahrnehmung kann zum einen auf der Faktizität des Realen beruhen (als positiver Befund von wissenschaftlichem Wissen), sie kann aber auch von Perspektiven bestimmt werden, die veränderlich sind. Und so treffen in John Millers künstlerischem Kosmos philosophischer Positivismus und Relativismus aufeinander, die er mit kritisch skeptischem Geist in subtilem Gleichgewicht hält und uns so die Unmittelbarkeit der Rezeption seiner Werke ermöglicht.
Gaby Gappmayr 2024