Anna Jermolaewa
Opening: 2. December 2016, 7pm
December 2016 - February 2017
Text zur Ausstellung
Anna Jermolaewa – Der magische Purismus des Objekthaften
Für die Ausstellung in der Galerie Widauer wählte Anna Jermolaewa Videoarbeiten, Fotografien, Gouachen und Digitalprints aus, denen besonders ein Aspekt gemeinsam ist: das Objekt und sein Bezug zur Wirklichkeit. In all den Werken geht es der Künstlerin um eine subtile Hinterfragung der Realität. Die Objekte erscheinen in realen Kontexten. Jedoch verleiht ihnen der fotografische Blick der Künstlerin eine Art überhöhte Wirklichkeit, sie konstituieren eine übersteigerte Form der Realität, was ihnen eine magische, oft auch hyperreale Aura verleiht. Der momenthafte Charakter einer scheinbar spontan festgehaltenen Objet trouvé-artigen Situation korrespondiert auf poetische Weise mit der „Inszenierung“ des Situativen. Gebannt folgt der Betrachter etwa im neuen Video Hyperreality TV (2016) den Bewegungen der Möwen und ist fasziniert vom Wechselspiel zwischen vermeintlicher und realer Wirklichkeit. Aber was ist real? Die reale Möwe scheint durch ihre artifiziellen Artgenossen plötzlich ebenso mechanisch und in der Bewegung nicht mehr von den künstlichen Tieren zu unterscheiden. Dies gilt aber ebenso für die mechanischen Tiere, die sich osmotisch der Wirklichkeit anzugleichen scheinen. Der Hintergrund des Videos, der Alltag in der Disneyworld von LA suggeriert das reale Leben, während diese Welt selbst im Grunde doch auch nur eine Inszenierung von Wirklichkeit ist. Auch im Video Barcelona Chair Again (2009) ist eine brillante Mise en Scène des Realen. Mies van der Rohes berühmter Barcelona Chair wird Requisite einer geheimnisvollen Theaterszenerie. Je nach Blickrichtung und Intensität des Bühnenlichts verschwindet oder taucht er hinter dem charakteristischen roten Samtvorhang auf.
Die Künstlerin geht jenem faszinierenden Wechselspiel zwischen Bewegung und Erstarrung nach. Der als Standbild festgehaltene Augenblick, der Moment, trifft auf Situationsabläufe, Bewegungen und Serialität. Dies gilt für die dreiteilige Fotoarbeit Rio Calling (2016) mit ihrer fast hypnotisch unmittelbaren Intensität ebenso wie für die jeweils mehrteiligen Werke o.T. (Werkzeuge, 1997). Die Isolierung einzelner Objektelemente mit Bewegungsindikatoren wie Vektoren, einer vermeintlich logischen Bildabfolge oder disparaten Aktionselementen wie etwa dem kleinen Vogel im Foto Bird on Nothing (2015) oder den Plastikflaschen beim Found Object (2016) verleihen den Objekten zum einen etwas rätselhaft Magisches. Zum anderen evozieren sie beim Betrachter eine analytisch kontextuale Bildbetrachtung, indem er die Objekte in den gesamten Bildkontext setzt und zu einer gedanklichen Gesamtwirklichkeit verschmelzen lässt. Der kleine Vogel in der Landschaft wird so zur Identifikationsfigur inmitten einer Landschaft des Nichts, mit einem in die Ferne gerichteten Blick, auf einem verwaisten Schild, das einstmals wohl ein funktionaler Gegenstand gewesen war. Ebenso poetisch das Objet trouvé am Strand, das als Objekt der Sehnsucht Richtung Ozean ausgerichtet zu sein scheint, einem Urelement, das für Ferne, Unendlichkeit und Möglichkeiten steht. Intensiviert wird diese momenthafte“ Inszenierung“ durch die wunderbare Intensität der kühlen Farben, das grünlich schimmernde Meer, der weißliche Sandstrand. In all ihren Arbeiten spielt auch die Reduktion der Farbigkeit und der formalen Mittel eine wesentliche Rolle. Der Purismus des Objekts wir durch den präzisen formalen, farblichen und inhaltlichen Kontext intensiviert.
Gaby Gappmayr, 2016